top of page

Ballenberg

  • daehlert
  • 23. Sept.
  • 2 Min. Lesezeit

Wer kennt ihn nicht, den Ballenberg! Der Ausflug lohnt sich: Ein abwechslungsreiches, sonniges Gelände mit Wiesen, Wald und Felsen, zwischen See, Rothorn und Haslital. Das Museum bewegt - frei nach Pestalozzi - Kopf, Herz und Fuss: Mindestens fünf Kilometer misst ein kompletter Rundgang, die Begegnung mit der Vergangenheit weckt Emotionen und das gebotene geistige Futter ist an einem Tag nicht zu bewältigen.

Am letzten Samstag waren wir wieder einmal da. Gebäude aus vier Jahrhunderten, gerettet vor Zerfall und Abriss am ursprünglichen Standort. Altes Handwerk mit Schwerpunkt textile Handarbeit. Komplette Interieurs aus dem 19. Jahrhundert: Ein Hauch Gotthelf weht durch das Gelände. Erinnerungen aus der Primarschulzeit an Heidi, die Theresli-Bücher, Anneli-Romane oder SJW-Hefte werden wach - Geschichten aus einer Welt, die uns Kindern schon vor sechzig Jahren fremd war. Ballenberg ist ein Symbol respektvollen Bewahrens.

Die gute Sache hat einen Haken: Diese Vergangenheit ist kein Sehnsuchtsort. Die gesellschaftlichen Realitäten waren so eng und freudlos wie Stübli und Rauchküche, und klapprige Betten, angeschimmelte Essensvorräte oder fehlende Hygiene wünscht sich erst recht niemand zurück. Als vor zweihundert Jahren die modernen Schweiz gegründet wurde, war 'Ballenberg' schon ein Auslaufmodell. Nicht das 'Heimetli', sondern Industrie, Verkehr und Urbanisierung prägen unsere nationale Identität. Unsere Urururugrosseltern verdienen Respekt, aber zu behaupten, wir seien im Innersten ein Volk von fleissigen Bauern, Heimarbeiterinnen und Kleinhandwerkern - aufrechten Menschen, die sich nur vor dem tiefen Türbalken verneigen - ist konservative Ideologie.

Konservativismus. In den USA zeigt er gerade sein hässlichstes Gesicht. Dass in einer hoch entwickelten Demokratie Massen junger Menschen einem revisionistischen Rechtspopulisten wie Charlie Kirk auf den Leim gehen und sich für rückständige Gesellschaftsbilder begeistern, tut weh. Da klagen keine 'Abgehängten' und Ungebildeten: Junge Menschen aus der Mitte der Gesellschaft begeistern sich für ein gesellschaftliches Ballenberg mit überholten Rollenbildern, Ausgrenzung und fehlender Trennung von Kirche und Staat. Mit Villa, Klimaanlage, Gartengrill, Swimmingpool und Van, selbstverständlich. Der bigotte Rave vom Wochenende, ein als Trauerfeier getarnter Propagandaanlass für ultrarechts-religiöse Weltbilder, befremdet, beängstigt: Ein cleverer Manipulator, der modernste Mittel zur Verbreitung einer rückständig ausgrenzenden Weltanschauung einsetzt, ist kein Held. Fast vergisst man es zu erwähnen: Politischer Mord löst keine Probleme; ein Verbrechen bleibt ein Verbrechen, auch wenn man das Opfer nicht mochte. Wie Trump und seine Gefolgschaft nun daraus Kapital schlagen, ist abscheulich und erstickt jedes Mitgefühl.

Ich bin kein Anhänger linksgrüner Ideologien: Die Zielrichtung stimmt, aber mit ihrem Mahnfinger bin ich nicht einverstanden. Aktivistische Übertreibung erstickt die Botschaft und spielt den 'Ballenberglern' in die Hände. Bei Trump und Konsorten stimmt hingegen gar nichts - vor allem nicht das Ziel. Sofern sie denn, abgesehen von der Gier nach Macht, überhaupt eines haben. Ihre Geste ist der Drohfinger.

Bei uns ist es noch nicht soweit. Auch Blocher und seine Gefolgschaft provozieren mit unsympathischen Ideen, aber sie rufen nicht zum heiligen Krieg gegen ihre Gegner. Und Bundesratskandidaten mit allzu offensichtlicher Ballenbergmentalität, die für sich beten lassen, werden nicht gewählt.

Heidi, Theresli und die Kummerbuben würden uns beneiden für die Prosperität, Offenheit und Freiheit unserer modernen Schweizer Gesellschaft. Sie ist nicht perfekt, aber auf dem richtigen Weg: Vorwärts. Hoffentlich.

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
Nullnummer

Professor Weidmann hat im Auftrag von Bundesrat Rösti den Bericht 'Verkehr 2045' abgeliefert. Wieviel Bahn dürfen wir also in zwanzig Jahren erwarten? Der Gutachter weiss es vielleicht. Schade, dass e

 
 
 
Absurd

Der Eigenmietwert wird bei der Besteuerung von Wohneigentum abgeschafft. Absurd?

 
 
 
Passivmitglied

Der Kirche treu bleiben, obschon man ungläubig ist? Oder ihr gar wieder beitreten, um das Ideal christlicher Nächstenliebe zu unterstützen? Der Blogger, ein Atheist, findet die Idee abstrus. Religiöse

 
 
 

Kommentare


Schreibt mir, ich freue mich auf euer Feedback

Danke für die Nachricht!

© 2025 Gedankengänge. Erstellt mit Wix.com

bottom of page