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Das Wetter?

  • daehlert
  • 28. Juli
  • 2 Min. Lesezeit

Probates Thema für Smalltalk. Sündenbock für allerlei Wehwehchen. Gegenstand von Redensarten und Binsenwahrheiten: 'Es gibt kein schlechtes Wetter, bloss unpassende Kleidung.' Oder, vor fünfzig Jahren, als die deutsche Bahn noch Weltklasse war: 'Alle reden vom Wetter - wir nicht!'

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'Ein Wetter', antwortet Vittorio in 'Wetten dass...', bringt Gottschalk kurz ins Schleudern und wird Wettkönig des Abends. Der Kandidat aus dem Ruhrpott kennt das Wetter für jeden Tag der vergangenen fünfzehn Jahre. Genauer gesagt: Das Wetter in einem österreichischen Ferienort. Das ist der Auslöser für den Roman von Wolf Haas.

Roman? Ein Nonlieu. Es gibt ihn nicht! 220 Seiten lang diskutiert der Autor mit einer Literaturkritikerin über 'Das Wetter vor 15 Jahren', und während diesem Hin und Her erfahren wir grosso modo, was wir nicht lesen dürfen. Der Schmerz hält sich in Grenzen, denn der hypothetische Heimatkitschroman 2.0 um Vittorio Kowalski, Anni Bonati und das Schmugglerlager ist nicht interessanter als das Wetter vor 15 Jahren: Schon der Titel ist listige Metapher und die fingierte Diskussion zwischen Haas und der Rezensentin eine doppelte Persiflage.

Erstens Satire einer Literaturkritik, die jeden Nebensatz hinterfragt und Tiefe auslotet, wo das Wasser höchstens handbreit hoch steht.

Zweitens ironischer Mockup schöngeredeter literarischer Erzeugnisse - Bücher, die schon am Erscheinungstag den Aufkleber 'Bestseller' zur Schau tragen.

Krimiautor Haas - bei seiner Brenner-Serie darf ich noch nachsitzen - schafft mit dem Nichtkrimi um Kowalski eine boshafte Selbstveräppelung des Genres: Einseitig klischeehafte Figuren. Eine aus unwahrscheinlichen Zufällen und Peinlichkeiten zusammengeschusterte Story. Unlogische Wendepunkte. Künstlich eingestreute Lerneinheiten zu Schallgeschwindigkeit, Bergbau oder Stechfliegen. Bis zum Gehtnichtmehr strapaziertes Prinzip 'nichts ist, wie es scheint'. Durch Abschweifen künstlich erzeugte Spannung. Obschon alle längst ahnen: Der Böse stirbt und die Netten kommen zum Kuss. Wie üblich. Am Rande vermerkt: Das Buch ist 2006 erschienen, noch bevor der Krimi-Boom in Massenproduktion ausgeartet ist.

Doppelbödige Satire? Haas schafft den Hattrick und fesselt in saloppem Plauderton seine Leserschaft. Wetten, dass der mit ausufernden Details zu Kletterkunst, Sprengminen basteln und Traumhochzeitsquatsch aufgeblähte Showdown zum Pageturner wird? Wette gewonnen: Schund, obschon längst als solcher entlarvt, funktioniert. Wir rätseln vor dem Einschlafen weiter, ob Anni und Vittorio vor fünfzehn Jahren nur pubertär herumgealbert haben... ob Mama Kowalski neun Monate vor Vittorios Geburt schon in Farmach in den Ferien weilte und Anni somit Vittorios Halbschw... Aber nein, das wäre ja...

Faszinierend.

Wer, wie ich, selbst mit Worten und Handlung ringt, bekommt einen Bonus: das Buch ist eine ernsthafte und treffende Auseinandersetzung mit dem Handwerk des Autors. Haas' Beispiele sind hanebüchen und treffen doch den Nerv: Was muss ich recherchieren, was darf ich erfinden? Wieviel Selbstzensur ist angemessen? Darf ich mich in meine Figuren verlieben? Wann wirkt Unverblümtheit sexistisch oder pornografisch? Habe ich in der x-ten Version zu viel oder zu wenig herausgestrichen? Ist der Satz 'Aufgewärmte Stories bleiben lauwarm und enden im Eimer' tatsächlich so gut, dass er unbedingt drin bleiben muss?

Anmerkung: Das ist nicht aus Haas' Roman zitiert, sondern aus der Werkstatt geplaudert. Den Satz habe ich der unbekümmert scharfzüngigen Marie Cassano in den Mund gelegt. Im Roman 'Level zwei'. Ich bin leider kein Erfolgsautor. Ich schaffe es mit 'Destination Dreamworld' nicht in die 'Literaturbeilage', während 'Das Wetter vor 15 Jahren'...

Wolf Haas hat es verdient.

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