Zirkelbezug
- daehlert
- 4. Okt.
- 3 Min. Lesezeit
Wer MS Excel nutzt, kennt den Zirkelbezug - die Formel, die sich in den Schwanz beisst. Er passt auch gut zum Roman 'Ja, nein, vielleicht' von Doris Knecht - das erste Buch im Herbstzyklus von Luzia Stettlers Lesezirkel. Luzia und dem Leseklub werde ich später einen eigenen Beitrag widmen.
Der Lesezirkel bietet die Chance, Autor:innen wie Doris Knecht an einer Zoom-Konferenz kennenzulernen und Fragen stellen zu dürfen. Ich nehme es vorweg: Für mich war es eine ernüchternde Begegnung. Aufschlussreich. Ein Anlass, über mein eigenes Schreiben und die Rolle der Autoren nachzudenken.
Der Klappentext verheisst eine leichtfüssige Auseinandersetzung mit der Frage, ob und wie ältere Menschen noch eine neue Liebesbeziehung eingehen möchten. Guter Stoff! Aber ich habe ein anderes Buch gelesen. Kein 'schlechtes': Es hat meine Gedanken mehr beschäftigt als viele andere, die mir besser gefallen.
Mich hat fasziniert, wie die weibliche Romanfigur als Schriftstellerin die Geschichte über die Ich-Person schreibt - ein Zirkelbezug, den ich als Selbsttherapie einer Frau verstanden habe, die sich einredet, glücklich zu sein, in Wahrheit aber vor ihren Ressentiments resigniert. Die Sprache ist modern, die sorgfältig konstruierten Bandwurmsätze passen gut zu den Gedankenschleifen, die zwischen Wichtigem, Anekdotischem und Überflüssigem mäandrieren. Dazwischen leuchten grellbunte, manchmal auch düstergraue Killersätze, deren Bildsprache zum Schmunzeln, die Aussage zum Verzweiflungsschrei verführt.
Der Text ist vollständig in der Ich-Form geschrieben, oft im Präsens: Überwältigende Subjektivität. Diese Ich-Bezogenheit ist Absicht, sagt Frau Knecht. Und meine psychologische Deutung als Werk über menschlichen Selbstbetrug erwies sich rasch als Zirkelbezug - optische Täuschung eines Schreibers, der lesenderweise nicht einfach einer Handlung folgt, sondern der Autorin auf die Schliche kommen möchte. April, April!
Frau Knecht hat den Roman als Rechtfertigung für ihr eigenes Lebensmodell geschrieben, als ältere Frau auf die Beziehung zu einem Mann zu verzichten: Keine Autobiografie, aber unzweifelhaft eine Selbstdarstellung. Brauchen 'alleinstehende' Frauen einen literarischen Befreiungsschlag? Werden sie tatsächlich belächelt, bedauert, diskriminiert und zu einer Beziehung gedrängt?
Leider kommt dieses Plädoyer nicht ohne vernichtende Schuldzuweisungen aus: Pauschalurteile finde ich peinlich, ein Zeichen von Schwäche, ob sie nun Männer, die 'romantische Liebe' oder sonst wen betreffen. Vor dem Hintergrund einer individuellen Lebensgeschichte mögen sie nachvollziehbar sein, aber zu viel bleibt vage, und dem Roman fehlt jede Fremdperspektive. Auch das ist Absicht: Es geht nicht um die Gefühle von Männern, hat Doris Knecht gleich am Anfang des Interviews erklärt - mit Wiener Charme, aber knallhart. Und sie beansprucht, daran lässt sie keinen Zweifel, die Deutungshoheit über das Thema Mann-Frau. Im Sinne des radikalen Feminismus.
Und so habe ich mich, als Mann, sofort gecancelt gefühlt: Was ich auch fragen und anmerken wollte, hätte vermutlich nur die Vorurteile über 'Männer' bestätigt. Oder, und dazu habe ich kein Recht, die Person Doris Knecht kritisiert, die unentwirrbar mit ihrer Identität als Kolumnistin und der Ich-Figur in ‘Ja, nein, vielleicht’ verbunden scheint.
Zirkelbezüge ohne Ende...
Verrückt: Frau Knecht hat ihre Gedankenwelt akkurat wiedergegeben, aber das gesteckte Ziel verfehlt: Der Ich-Figur im Roman nehme ich ihr Glücklichsein nicht ab. Auflehnung gegen Klischees und gesellschaftliche Normen bleibt ein Abnützungskampf, wenn frau es nicht schafft, sich davon zu befreien. Wenn man genau liest, sind es nicht Männer, die den schädlichen Druck aufbauen, sondern Frauen: Die Mutter. Die Schwestern. Freundinnen. Die Ich-Frau selbst. Und die Episode mit ihrem Ex-Liebhaber beweist: Sie ist beschädigt, wie sie es ausdrückt, und nimmt daher die Spezies 'Mann' in Sippenhaft. 'Nein', nicht 'Ja, vielleicht': Eine Beziehung mit einem Partner, dem man von Geschlechts wegen misstraut und um dessen Gefühle man sich foutiert, ist nicht möglich. Das seltsam aufgesetzte Happy End nach einer Katastrophe, die nicht stattfindet, ist zu offensichtlich eine Scheinblüte und Anfang eines neuen Zirkelbezugs.
Liebe, schwierige Beziehungen, starke Frauen, Freiheit: Themen, die mich in meinen Romanen beschäftigen. Darum hat mich die Bitterkeit von 'Ja, nein, vielleicht' besonders berührt. Verstört. Ich bin siebenundsechzig; auch ich habe Kratzer und Beulen abgekriegt. Und, schlimmer: Die eine oder andere Person verletzt und enttäuscht. Destination Dreamworld? 'Ja, nein, trotzdem': Ich erlaube mir, zu träumen. Für die Jugend.
Als Kolumnistin darf sich Doris Knecht Subjektivität und Parteinahme leisten. Humorvoll und gut geschrieben, lesen wir eine Spalte lang gerne auch Schräges, Übertriebenes oder Einseitiges. Ein ganzer Roman dieser Art wird zum Ego-Tripp. Aufmüpfig. Verstörend. Übergriffig.
Peinlich: Für die Autorin, die mehr von sich preisgibt, als man wissen möchte, und weniger als es braucht, um die Ich-Figur zu verstehen.
Peinlich: Für die Lesenden, welche sich dem bitteren Ernst und Schmerz nicht verschliessen wollen, gerne unter die locker-flockige Oberfläche blicken würden, aber keine Empathie empfinden. Weil wir uns in den Zirkelbezügen verheddern und verlieren.
Was ich Frau Knecht gerne gefragt hätte? Vieles. Zuallererst: 'Was sollen Ihre erwachsenen Kinder' - sie hat zwei - 'aus diesem Roman für ihre Zukunft mitnehmen?'
Ü55 dürfen resignieren. Zum Vorbild taugen sie dann allerdings nicht.

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