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Selbstdarsteller

  • daehlert
  • 20. Okt.
  • 2 Min. Lesezeit

Wer Schreiben als Beruf oder Hobby wählt, dachte ich, tut dies gern. Wie ich. Nun aber behauptet der französische Schriftsteller Edouard Louis im Interview, Schreiben sei ihm eine Plage. Nein, kein frustrierter und fast vergessener Wortkrieger, sondern ein erfolgreicher junger Mann. Da habe ich erst mal leer geschluckt.

Ich gebe es zu: Dieser Bestsellerautor war mir bisher unbekannt. Seine sieben Romane sind allesamt autobiografisch. Nicht '30 Prozent', wie Doris Knecht von ihren Werken behauptet: 100% Edouard Louis AOP. Alles andere als vergnüglich: Rückblick auf eine Jugend in abscheulichen sozialen Verhältnissen, mit gewalttätigem Vater und einem hassenswerten Bruder, der sich mit 38 Jahren zu Tode säuft.

Okay, da kommt der Fun-Factor beim Schreiben entschieden zu kurz. Selbsttherapie, sagt Louis im Interview. Sein Weg aus der Gosse zum anerkannten Schriftsteller verdient grosse Achtung, aber ich werde seine Bücher nicht lesen: Eine Überdosis an schonungsloser Ichzentriertheit empfinde ich übergriffig,

Wer schreibt, gibt preis, was er oder sie denkt, fühlt, erlebt: Es geht nicht anders. Umfassende Objektivität ist Illusion, und schriftliche Subjektivität wirkt anders als mündliche. Denn aufgepasst: Das Monologische geniesst einen zweifelhaften Ruf. Es erinnert an verstaubtes Theater, narzisstische Politiker und den Frontalunterricht. Wer explizit über sich schreibt, muss sorgfältig dosieren, um nicht überheblich zu wirken. Finde ich.

Wir Textmenschen schreiben für Unbekannte und wollen sie dazu verführen, sich auf unsere Geschichten und Gedanken einzulassen. Freiwillig. Sie sollen unsere Hauptfiguren mögen und sich, bestenfalls, ein wenig in sie verlieben. Dazu braucht es weder unfehlbare Heldinnen noch abgrundtief herzensgute Protagonisten; im Gegenteil: Die fiktiven Personen sollen Schwächen haben und Niederlagen einstecken - nur so wirken sie authentisch. Eine wohldosierte Prise Ambivalenz lädt ein zum Nachdenken. Beispiel 'Destination Dreamworld': Wer verdient mehr Sympathie - Valerie oder Zoé? Beide haben ihre Macken und Tugenden. Hält ihre Liebe in der nicht exklusiven Beziehung? Spielt Winnerin Zoé die emotional intelligentere Valerie irgendwann knallhart an die Wand? Ich weiss es nicht. Niemand kann es wissen: Das ist die Magie der Fiktion.

Zurück zu Herrn Louis: Wer jahrelang nur über sich selbst schreibt, wird zum Exhibitionisten. Wer sieben Bücher publiziert, um über Gewalt, Diskriminierung und Hass hinwegzukommen, missbraucht seine Leserinnen und Leser als Therapeuten. Wer sich als Autor schonungslos in den Mittelpunkt stellt, verletzt die achtungsvolle Distanz, die er unbeteiligten Menschen schuldet. Sein Schicksal mag noch so ergreifend sein: Er sollte den Stoff jemand anderem überlassen. Niemand ist objektiv gegenüber sich selbst, nicht einmal in der Selbstkritik: Dem Leser, seiner Deutungshoheit beraubt, bleibt nur Fremdscham.

Ich werde keine Autobiografie schreiben. Thomas Dähler ist keine Figur, und mein Leben keine Story. Hie und da ein Blogbeitrag der Kategorie 'über mich', eine Episode in einem Roman, von der nur Eingeweihte wissen, dass sie wahr ist: Da kann ich die Türe zu meiner Vergangenheit einen Spalt breit öffnen und gleich rücksichtsvoll wieder schliessen:

Doch, es gibt gute Autobiografien. Erich Kästners 'Als ich ein kleiner Junge war', zum Beispiel. Das ist nicht bloss 'Kästner über Erich', sondern ein Zeugenbericht aus einer längst vergangenen Epoche, als das Buch (1957) erschien: Dresden vor den Weltkriegen, der Zerstörung, dem eisernen Vorhang. Unprätentiös.

Edouard Louis hat das Recht, über sein Leben zu schreiben, was er will.

Ich nehme mir das Recht heraus, es nicht lesen zu wollen.

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