Höchste Eisenbahn
- daehlert
- 5. Sept.
- 2 Min. Lesezeit
Warum, frage ich mich gerade, schreibe ich in diesem Blog so selten über die Eisenbahn? Es fehlt nicht an interessanten News, ärgerlichen Problemen und polemischen Berichten, die ich erklären, kommentieren, bestreiten oder richtigstellen könnte. Und mit meinem Sohn, dem Profi, tausche ich mich auf WhatsApp fast täglich über Technisches, Betriebliches und den ganz normalen Bahnsinn aus.
Immer wieder nehme ich Anläufe, aber werfe dann das Handtuch: In einer Lesezeit von zwei bis drei Minuten einen Sachverhalt verständlich darstellen und auch noch eine eigene Pointe herausarbeiten, ist angesichts der Komplexität sehr schwierig. Auch Martin Haller - Hauptfigur in meinem nächsten Roman 'Level zwei' - kommt vom Hundertsten ins Tausendste, wenn er jemandem 'Eisenbahn erklärt'. Und ärgert sich hinterher darüber, andere zu langweilen. Das will ich natürlich nicht.
Für blogaffine Skandale sind unsere Schweizer Bahnen schlicht zu perfekt: Neue Züge für den Regionalverkehr? Bauarbeiten mit zwei Monaten Totalunterbruch zwischen Bern und Fribourg? Alles im Grünen. Langweilig. Vermutlich gab es sogar Pendler, die den Zehnminutentakt zwischen den Zähringerstädten dank komfortablen Doppelstockcars zu schätzen wussten. Nur wenn der Ersatzverkehr mitten in der Reisekette auftauchte, verlor man in den meisten Fällen ein halbe Stunde. Ärgerlich.
Da ist bei den deutschen Nachbarn deutlich mehr los! Neuer Bahnhof Stuttgart? Epische Verspätung, eine Verschiebung jagt die andere, und ausserhalb der Beteiligten glaubt wohl niemand mehr an ein Happy End. Während das Werk längst fertig sein sollte, hat man herausgefunden, dass man einen milliardenteuren neuen Tunnel bauen müsste, um die Fernzüge aus Zürich wieder in den Hauptbahnhof zu führen. Unweit davon, in Ulm, wird das Stellwerk ersetzt, und der Bahnhof dafür im Winter monatelang komplett stillgelegt: SBB und Industrie erledigen das bei uns an einem Wochenende. Das sind nur zwei Beispiele.
In der Schweiz haben es pointengeile Blogger, Besserwisserinnen und Berufskritiker schwer: Sie müssen das Haar in der Suppe suchen. Jede Verbesserung als Besitzstandsverlust beklagen. Oder Nichtverbesserungen anprangern, weil man eben auch in der Schweiz nur viel, aber nicht alles und schon gar nicht gleichzeitig realisieren kann. Vor zehn Jahren haben wir über FABI (Finanzierung und Ausbau der Bahninfrastruktur) abgestimmt und die Weichen für eine nachhaltige Zukunft des Netzes, SBB und 'Privat'-Bahnen, gestellt. Das Kernstück, der BIF (Bahninfrastrukturfonds), droht allerdings auszutrocknen. Werden nicht neue Geldquellen angezapft, beispielsweise durch einen dauerhaften Beitrag aus der Mehrwertsteuer, reichen die Mittel schon in wenigen Jahren 'nur' noch für den Substanzerhalt.
Die Bahn, der öV Schweiz, sind eine Erfolgsgeschichte. Am Problem mit dem BIF sind nicht die Profis von SBB, BLS, RhB und Konsorten schuld, sondern das Wunschkonzert der Politik. Zu viele nur lokal wirksame - Prestige? - Projektvorschläge sabotieren letztlich den für die Entwicklung des nationalen Gesamtverkehrs nötigen Vorhaben. Und ehemalige Bahnchefs gefallen sich immer wieder in der Rolle selbstgefälliger Nörgler. Muss ich im Blog erklären, warum der Napftunnel eine Bierid... Ach was, Herr Weibel liest es sowieso nicht.
Darum: Höchste Eisenbahn, das Gute nicht in der Sehnsucht nach dem Besseren zu ersäufen. Unbebloggt. Die Profis, die täglich planen, bauen und Züge fahren, sind bestimmt dankbar.
Höchste Eisenbahn, 'Level zwei' fertig zu schreiben. Denn da geht es, auch, um Eisenbahnpolitik. Darüber schreiben passt besser in einen Roman.
Und keine Angst: Haller wird die Bahn nicht im Lauf der Handlung erklären, sondern in einem Glossar auf www.gedankenzug.ch...

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