Leuchtturm
- daehlert
- 17. Aug.
- 3 Min. Lesezeit
Politik betrifft uns alle, ob uns das passt oder nicht. Auch 'Destination Dreamworld' ist nicht nur ein Roman über die Liebe: Wenn Welsch und Züritüütsch, Links und Rechts, Intelligent und Bildungsfern, Jugendliche und Eltern zusammenprallen, wird es rasch 'politisch'.
Ich durfte mich letzten Freitag mit einer Leserin über mein Buch unterhalten. Lob tut der Seele gut, aber das wertvollste Geschenk für einen Autor ist konstruktive Kritik. Der Kernpunkt unseres Gesprächs betraf die Botschaft meines Erstlings: Freiheit im Denken und Handeln für alle, Verzicht auf Vorurteile, Achtung vor dem Individuum statt Zwang zur Herde. Das gleichgeschlechtliche Paar Valerie und Zoé. Der erfolgreiche Unternehmer Frédéric Gilliéron. Die linksintellektuellen Eltern Bischof: Sie haben alle das Recht, ihr Leben zu gestalten und dabei anzuecken. Und ebenso die Pflicht, dem Gegenüber seine Freiheit zu gewähren, ohne die eigene aufzugeben.
Mit einem Wort: Liberalismus, verstanden als Lebensphilosophie. Bei meiner Leserin hat es Unbehagen ausgelöst. Nicht ganz unerwartet - Clichés zu widerlegen, war Absicht. Provozieren, aber ohne zu verletzen: An den entsprechenden Textpassagen habe ich besonders intensiv herumgefeilt. Die junge Frau mag meine Geschichte und hat sie zwar nicht so verstanden, wie beabsichtigt. Aber auch nicht falsch.
Liberal denken ist anspruchsvoll, aber ein Ideal, ein Leuchtturm. 'Sozial verantwortlich' sieht meine Leserin als Gegenentwurf. Das kann man so sehen: Beide Leuchtfeuer appellieren an menschliche Grundbedürfnisse, beide kann man schätzen, aber irgendwann stellt sich die Frage: Mehr soziale Gerechtigkeit und Sicherheit um den Preis von mehr Verboten, mehr Staat, oder mehr persönliche Freiheit?
Valerie und Zoé lassen sich auf Letzteres ein: Ihr Leben ist keine Dreamworld und schon gar nicht ein Schlaraffenland. Individualismus heisst nicht Egoismus, und Freiheit bedeutet, für sein Leben Verantwortung zu übernehmen. Täterin sein, statt Opfer! Das Beste aus der Situation machen, auch wenn das Beste nicht so gut ist wie gewünscht. Ist es vermessen zu hoffen, mit meinem Roman einige Menschen dazu zu ermutigen?
Wer wie Valerie und Zoé gewinnen will - Unabhängigkeit, Erfolg, Freude am Leben - muss sich entscheiden, muss Risiken eingehen und kann scheitern. Dazu gehört, sich realistische Ziele zu setzen und nicht nur auf den 'Best Case' vorbereitet zu sein - sich selbst und anderen zuliebe. Denn helfen tut gut, nicht nur eingeschworenen Altruisten. Sich helfen lassen fällt hingegen schwer.
Ein Auffangnetz für solche, die ein Unglück aus der gewählten Bahn wirft, ist kein Widerspruch zum liberalen Gedanken, sondern ein Gebot der Fairness. Noch selbstverständlicher ist Anschubhilfe für junge Menschen, damit sie später ihr Leben eigenverantwortlich in die Hand nehmen können. Ich stelle fest: Diesen Aspekt behandelt mein Buch etwas stiefmütterlich. Ein Roman, auch mit gesellschaftspolitischem Hintergrund, darf sich auf das konzentrieren, was zur Handlung gehört, und muss vieles weglassen.
Der Staat kann einiges richten, Gesetze erlassen, Normen setzen und durchsetzen: Vollkommene Gerechtigkeit kann er nicht herbeizaubern. Wer seinem Leuchtturm zu nahe kommen will, zerschellt vorher an der Klippe der Absolutheit, wo das Ideal zur Dystopie verkommt: Liberal wird zu libertär, sozial zu totalitär. Kein Netz, mindestens kein goldenes, verdienen Profiteurinnen und Hasardeure: So sehe ich das, und vermutlich sind sich 'Liberale' und 'Sozialisten' darüber im Grundsatz einig. Im Grundsatz! Das richtige Mass zu finden, ist selbstverständlich kontrovers.
In rund hundert Jahren haben 'Sozi' und 'Liberale' gemeinsam, als kooperierende Konkurrenten, einen Staat geschaffen, in dem wir gut leben können. Unsere Gesellschaft hat sich an beide Leuchttürme angenähert. Heute, habe ich den Eindruck, verschanzen sich die Parteien lieber hinter Schlagworten und hintertreiben Lösungen, statt sie zu suchen. Fortschritte und die Balance sind bedroht! Statt das Gute zu perfektionieren und sich dabei in Grabenkriege verwickeln, sollten sich die, welche sich als 'staatstragend' bezeichnen, dezidierter von denen abgrenzen, die unsere Zukunft bedrohen: Den ewiggestrigen Bewahrern. Den Nationalisten. Kommunisten. Apokalyptikern. Den Neidern und Naiven. Den Süchtigen nach Geld, Macht und Ruhm. Und ja, die alle gibt es bei beiden Geschlechtern: Man verzeihe mir das generische Maskulin.
Ich bin und war immer Individualist, beanspruche meine Höhle und mein Territorium. Menschen mag ich, aber ich hasse Gruppenzwang, Zwang generell. Ich ordne mich nicht unter: Mein Niveau ist und bleibt die Augenhöhe. Liberal sein ist der Leuchtturm, der zu meiner Wesensart passt: Herzensangelegenheit.
Ich weiss, das gefällt nicht allen, aber eigentlich bin ich bisher damit ganz gut zurechtgekommen. Auch mit Menschen, die anders ticken: Ich habe mich selten als Aussenseiter gefühlt. Nur ab und zu hat man mir früher das Etikett 'typisch Einzelkind' an den Rücken geheftet: Nicht cool!
Danke, liebe Leserin, dass ich mit dir noch einmal darüber nachdenken musste. Durfte. Schreiben wirkt befreiend. Das passt zu mir. Allein, aber nicht einsam: Feedback freut mich. Zum Buch oder zum Blog.
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