Ohrfeige
- daehlert
- 7. Mai
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Die SVP wurde im Nationalrat abgewatscht. Eltern haben das Kind ohne Anwendung von Gewalt zu erziehen, namentlich ohne körperliche Bestrafungen und andere Formen erniedrigender Behandlung. Das steht, trotz Opposition von ganz rechts, künftig im Zivilgesetzbuch.
Revolutionär? Kaum. Das explizite Verbot legt nur fest, was informell schon gilt: Körperstrafen sind verpönt. Sogar ein überzeugter Liberaler und Gegner des 'Regelungsdickichts' hat nichts einzuwenden. Die Behauptung, das Gesetz untergrabe die elterliche Autorität, ist lächerlich: Wem die Hand ausrutscht, ist vor allem überfordert.
In meiner Kindheit galten 'kleine' Körperstrafen als normal. Ich wurde ab und zu von den Eltern am 'Grännihaar' gezogen, und im Zimmer eingeschlossen werden, um 'darüber nachzudenken', gehörte zum Repertoire. War das erniedrigend? Gefühlt: Ja. Beabsichtigt: Nein. Aus heutiger Sicht: Grenzwertig.
Am 'Progy' in Thun herrschten noch rüde Sitten und Gebräuche. Der Rektor führte ein Sündenbüchlein und ohrfeigte 'soft', aber gerne publikumswirksam. Die kräftigste Handschrift führte ein junger Lehrer aus dem Oberland, und trotzdem war er sehr beliebt, den Schlüsselbundwurf einer Mathelehrerin fanden wir hingegen weniger cool: Sie traf, im Affekt, häufig einen Unschuldigen. Aber das alles war nichts gegen den mentalen Terror, den ich den drei letzten Schuljahren erlebte: Wöchentlich mehrmals miterleben, wie der Klassenlehrer einen willkürlich ausgewählten Pultnachbarn nach allen Regeln der Kunst zur Schnecke macht, ist kaum erträglich. Schon damals war nicht nachvollziebar, warum dieser Sadist nicht freigestellt wurde.
Autorität ja, Gewalt nein: Das fanden wir angehenden Sekundarlehrer Anfang der Achtzigerjahre selbstverständlich. Erziehung ist immer Erziehung zur Norm, dozierte einer der Pädagogen. Heikel; vor allem für einen überzeugten Individualisten: Es gibt keine Norm für Menschen. Im Verb 'er-ziehen' steckt das Teufelchen: Junge Menschen dorthin zerren, wo 'man' es für richtig hält, ist eine Form von Gewalt. Wahre Pädagogen, fand ich schon damals, müssten eigene Kinder oder Schülerinnen und Schüler dabei unterstützen, das Beste aus sich zu machen. Das Beste für sie selbst, nicht im Sinne elterlicher Wünsche oder politischer Ziele. Das bedeutet nicht 'geschützte Werkstatt': Jedes Individuum muss fit sein, mit den realen Rahmenbedingungen klarzukommen.
Tönt gut, ist aber schwierig: Was tun mit der lauten und störenden Minderheit derer, die nichts aus sich machen wollen? Bestimmt nicht ohrfeigen! In jeder Familie fliegen ab und zu die Fetzen. Die Hand kann man hoffentlich zurückhalten, aber auch ein vorschnelles Machtwort verletzt. Eine Teenagerin der Generation A oder Z erlebt die Konfiskation des Smartphones als unverhältnismässig und erniedrigend. Auch immer wieder geforderte Einschränkungen für soziale Netzwerke sind Kapitulation, nicht Pädagogik: Echte Autorität gründet auf Vertrauen. Nicht alle Erziehungsberechtigten haben diese Begabung. Das ist schade, aber nicht strafbar.
Denn Strafen für Eltern sind im neuen Gesetz nicht vorgesehen. Skurril? Nein, vernünftig: Schlimme Fälle werden längst auf Grundlage bestehender Regelungen sanktioniert. Und Verfehlungen in der Privatsphäre sind ein heikles Ding: Zu oft steht Aussage gegen Aussage, ein Gerichtsverfahren traumatisiert die Opfer, und lädierte Beziehungen und Familien werden definitiv zerstört. Das gilt für Erziehung genau so wie für häusliche Gewalt oder Sexualdelikte.
Auch ohne Sanktionierung der Fehlbaren sind diese Gesetze wichtig und richtig: Der Staat übernimmt eindeutig Partei für Werte, die beim Zusammenleben zu respektieren sind. Die persönliche Freiheit darf nicht als Vorwand dienen, die körperliche und mentale Integrität Anderer zu missachten. Auch der liberale Geist muss rote Linien setzen - wenige, aber die richtigen.
Wer anderer Meinung ist, gehört abgewatscht. Mindestens symbolisch.
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