Too big to fail
- daehlert
- 15. Feb.
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 16. Feb.
'Welchen Scheiss die Leute glauben!' enerviert sich Valerie in meinem Roman. Recht hat sie. Zum Unsinnigsten gehören Verschwörungstheorien: Realitätsfremd. Aber Verschwörungstheoretiker sind leider immun gegen sachliche Skepsis.
Bevor ich nun buchstäblich beim 'lieben Gott und der Welt' lande, möchte ich zur Sache kommen: Zum Schreiben. Oder Lesen. Während meinen letzten Retuschen an 'Destination Dreamworld' wollte ich mir Inspiration bei der Konkurrenz holen: Martin Suter, 'Montecristo', erschienen 2015, eingemittet zwischen Finanzkrise und abgewendeter CS-Pleite. 'Verschwörung gigantischen Ausmasses... ein Reiseführer in die zwielichtige Welt der Schweizer Hochfinanz', steht auf dem Buchrücken.
Ich mag Suter. Er schreibt eine präzise und geradlinige Sprache. Die Themen sind manchmal berührend, manchmal witzig, etwas skurril. 'Lila, Lila' ist mein bisheriger Favorit. 'Montecristo' lässt mich hingegen perplex: Jonas Brand, ein frustriert optimistischer Videojournalist, will seine Putzfrau bezahlen und stellt fest, dass die beiden Hunderternoten dieselbe Seriennummer haben. Wie bitte? Schon mal auf sowas geachtet?
So unglaubwürdig, wie sie beginnt, quält sich die Story weiter durch mysteriöse Zufälle und Unfälle, pardon, Auftragsmorde. Dahinter stecken, natürlich, die bösen Banker: Klischee datet masslose Übertreibung. Verschwörung? Ein Trader hat sich um Milliarden verzockt. Um den Verlust zu vertuschen, wird so unverschämt bestochen, getrickst und gemordet, dass sie längst aufgeflogen sein müsste.
274 Seiten lang dürfen wir warten. 'Jede Art zu schreiben ist erlaubt, nur die langweilige nicht', zitiert der Autor im Abspann Voltaire. Ehrlich? Spannend geht anders. Wir warten nur darauf, wann endlich Brands Geliebte die Maske fallen lässt und ihm den längst fälligen Genickschuss verpasst.
Dann aber wird es richtig peinlich: Ein Happy End schlimmster Sorte. Von den Bankbossen bis zum Bundesrat: Wer nicht vorher gemeuchelt wurde, gehört zum Geheimbund. Brand ziert sich ein wenig, bevor er kapiert: Seine Freundin hat ihn nicht verraten, sondern gerettet. Die Bösen wollen das Gute: Die Bewahrung des globalen Finanzsystems. Die Prosperität von uns allen. Was kümmern da ein paar Kollateralschäden? Einer davon: Verschwörungstheoretiker bekommen irgendwie Recht. Auch wenn es Martin Suter bestimmt nicht so meint.
Aber wie meint er es denn? Zynische Satire der heftigen Sorte? Fehlanzeige. Die Verschwörung, erklärt der Finanzdirektor in einer Metapher, gleicht einer riesigen Seifenblase: Geschäftsbanken, Finanzaufsicht, Notenbank und Wirtschaftspolitik sind darin eingesperrt und dazu verdammt, sich behutsam zu bewegen, damit sie nicht platzt. Poetisch, aber wahr: Der Rohstoff der Banken ist nicht Geld, sondern Vertrauen. Wozu braucht es da gleich eine Verschwörung? Der Berg hat eine Maus geboren.
Verdikt: Ärgerlich. Und, für mich, auch tröstlich: Selbst arrivierte Schriftsteller sind nicht too big to fail.
'Destination Dreamworld' wird in den nächsten Tagen publiziert, und ich bin ziemlich nervös. Was kann man dem Buch alles unterstellen? Missratener Ratgeber zu sexueller Orientierung, zu feministisch, rechte Propaganda, pornografisch, zu niedlich... Dabei fürchte ich mich gar nicht vor den Kritikerinnen und Nörglern: Vielleicht haben sie ja recht. Aber erst mal müssen sie das Buch in die Hand bekommen und lesen.
Too small to fail???
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