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Unappetitlich

  • daehlert
  • 7. Juni
  • 3 Min. Lesezeit

Hunde polarisieren, Katzen hingegen mögen fast alle. Der Koala wirkt knuddelig, Spinnen sind eklig, und Schlangen heimtückisch: Tiere regen unsere Fantasie an, dienen als Projektionsfläche für Gefühle und halten uns einen Spiegel vor.

Im untersten Bereich der Beliebtheitsskala stehen Geier und Hyänen. Ihr Speisezettel stinkt zum Himmel, und das Leid der anderen ist ihr Fonds de Commerce: Sie profitieren von der Vergänglichkeit des Lebens. Dass sie sich als Müllmänner und Gesundheitspolizistinnen der Natur nützlich machen, ist emotional nicht besonders ergiebig.

Dass Aasfresserinnen und Kadaververwerter auch in der Politik zahlreich auftreten, scheint uns gar nicht mehr aufzufallen. Es regnet etwas häufiger als im hundertjährigen Mittel, ein Fluss tritt über die Ufer und leidgeplagte Bewohner misten das überschwemmte Erdgeschoss aus? Schon eilen sie herbei, die Grünen, mit ihrem Mahnfinger: 'Schaut her, das ist der Klimawandel!' Menschen suchen in Europa das Paradies und scheitern an der harten Realität? 'Schafft die kriminellen Scheinasylanten sofort aus!' schreit Rechtsaussen. Alleinerziehende Mütter mit magerem Teilzeitgehalt, Ruheständler, die sich verkalkuliert haben, Schlangen vor Verteilstellen für Gratisessen? Die gewerkschaftliche Linke reibt sich die Hände.

Parteien leben davon, ihren Wählerinnen und Stimmberechtigten einzureden, sie allein könnten die Probleme lösen, welche sie durch ihrer Narrative selbst in die Welt gesetzt haben. Pardon: So zurechtgerückt und ausgeschmückt, dass sie ihre ideologischen Ziele unterstützen. Alle? Alle. Die 'bürgerlichen' Liberalen schlagen gerade Kapital aus dem Ukraine-Krieg und der Auferstehung des Feinbilds Russland: Die Sicherheits-, pardon: Rüstungspolitik ist ihre etatistische Achillesferse.

Man stelle sich vor, Herr, Frau und Nonbinär Schweizer würden sich keinen Deut um die Deutungshoheit der Erleuchteten scheren und kämen zur Einsicht: Uns geht es gut! Würden sie dann erkennen, dass ein aufgeplusterter Verbots- und Gebotsstaat Wohlergehen und Freiheit nachhaltiger bedroht, als die Probleme, die ihn rechtfertigen sollen?

Uns geht es gut. Das gilt gerade nicht für die Blattnerinnen und Blattner, die ihre Häuser, Wohnungen und fast alle Habseligkeiten verloren haben. Zeitgemässe Sicherheitsmassnahmen konnten das Leben der Dorfbewohner retten, aber keine Macht der Welt wird je verhindern, was passiert ist. Berge sind nicht ewig, im Gegenteil: Was aufgetürmt ist, folgt irgendwann dem Gesetz der Schwerkraft.

Natürlich kreisen sie jetzt über dem Lötschental - leider nicht die Bart-, sondern die Aasgeier. Sie können nicht anders: Bestürzung in Empörung ummünzen, ist ihr Job. 'Ist Blatten eine Folge des Klimawandels?' Dass Expertinnen und Wissenschaftler in den zahlreichen Interviews nicht wagen, die Frage der Fragen klipp und klar zu verneinen, ist eine unschöne Eigenheit des Zeitgeists. Die Kausalitätskette eines derartigen Naturereignisses zu analysieren, übersteigt unsere Kenntnisse: Höchstens kann man die Faktoren aufzählen, die es begünstigen. Brauchbare Statistiken müssten mindestens ein Milliönchen Jahre der Erdgeschichte lückenlos belegen. Mit allen Klimaveränderungen, die derweil stattgefunden haben.

Grüne Geier sind immer zur Stelle, wenn die Natur zuschlägt. Aber diesmal krächzen auch andersfarbige munter mit. Prophylaktisch wird sofort gegen die Idee gemauert, hochgelegene Alpentäler gezielt zu entvölkern, obschon dies weder realistisch noch zielführend ist: Hagelwetter, Überschwemmungen und Stürme sind viel häufiger und schlagen auch im Flachland zu. Postwendend haben Lokalpatrioten herausposaunt. das Dorf müsse wieder aufgebaut werden: Eine Frage der nationalen Kohäsion. Nun plappern es alle Nichtbetroffenen nach.

Das ist in den meisten Fällen gut gemeint, aber ich finde es übergriffig. Die Bewahrer aller Couleurs sind längst zu mächtig, in den Städten genauso wie im Alpental. Verlorenes zu rekonstruieren, bleibt Flickwerk. Die vom Unglück Heimgesuchten müssen loslassen dürfen. Ein ideologisierter Kampf um ein 'Neublatten' zwingt sie auf viele Jahre in ein zermürbendes mentales Exil und ist eine verlogene Perspektive: Was gewesen ist, wird nicht wieder. Da helfen keine Millionen.

Lasst sie jetzt trauern, die Menschen im Lötschental. Lasst sie vorurteilslos in ihre Zukunft blicken, wenn sie wieder dazu in der Lage sind. Ohne gesellschaftlichen Druck: Jeder und jede darf auf seine individuelle Art wieder Heimat finden. Im Nachbardorf, wo Stammtisch und Traditionen bestimmt nicht so anders sind. Im Haupttal, nahe dem Arbeitsplatz. Oder einen völligen Neuanfang wagen, weit weg von der traumatisierenden Vergangenheit. Die Natur lehrt uns: Jede Veränderung, auch eine radikale, ist eine Chance. Bergler müssten das wissen. Intuitiv.

Ihnen dreizureden ist unappetitlich. Aber die Aasgeier und Hyänen merken es nicht. Ihre Nasen sind immun gegen den Gestank.

Ich hoffe, alle Katzen wurden gerettet. Ihr Personal braucht jetzt dringend ihre Zuwendung.

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