Unboxing
- daehlert
- 10. Jan.
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 11. Jan.
Ein herrlich zeitgeistiger Anglizismus! Es ist wie bei den Babuschkas: Erwartungsvoll und dann immer genervter dürfen wir Online Shopper Karton um Karton aufsäbeln, um gleich die nächste, kleinere Verpackung unter Papierwürsten oder - schlimmer - Styropor hervor zu buddeln. Mit etwas Glück hält man das Objekt seiner Begierde nach harter Arbeit in der Hand: Eingepackt in ein halbes Dutzend Plastiktüten und gut versteckt unter dem Prospekt mit Safety Instructions in vierundvierzig Sprachen. Ach so, das Fleischmesser eignet sich nicht für Kinder unter 3 Jahren? Wer hätte das gedacht!
Eine Plage? Vor Jahren wurde ich eines besseren belehrt. Da bin ich auf das erste Unboxing-Video gestossen. Und staunte: In der Erwartung, etwas über ein neues Utensil zu erfahren, wurde mir in einer mehrminütigen, sorgfältigen Inszenierung erklärt, wie man es... AUSPACKT! Ein postmodernes Ritual. Unsere Geräte werden immer intelligenter und intuitiver zu bedienen. Um aber an sie heranzukommen, brauchen wir den kompetenten Rat von Entschachtler*innen mit eidgenössischem Fachausweis.
Schluss damit. Nein, nicht mit auspacken, sondern mit meinem Sarkasmus. Der ist ab sofort fehl am Platz, denn eben habe ich mein erstes Unboxing Video produziert. Was mir die Post geliefert hat, ist nicht ein schnödes Massenprodukt, sondern ein Unikat: Der Probedruck von 'Destination Dreamworld' ist angekommen! Sieht aus wie irgendein Taschenbuch, riecht nach Papier und Druckerschwärze, hat eine ISBN-Nummer mit Barcode und ist doch... mein ureigenstes Erzeugnis. Keine Lektorin hat es zerzaust, kein Verleger zensiert, kein Illustrator das Coverbild komponiert, keine Expertin für Buchmarketing die Einbandrückseite gestaltet. Alles ist selbstgestrickt.
Versteht mich nicht falsch: Diese Spezialistinnen und Berufsleute hätten meinem Produkt bestimmt den richtigen Finish verliehen. Aber ich bin nicht mehr dreissig. Bei einem üblichen deutschsprachigen Verlag publiziert zu werden, hat rechnerisch eine Wahrscheinlichkeit von 1 zu 5000, habe ich gelesen. Wobei dann erst noch die üblichen Filter wirken, bevor überhaupt jemand das eingereichte Exposé öffnet. Ein Rentner mit literaturferner Vergangenheit dürfte da rasch auf dem Stapel 'nicht interessant' landen. Das sind zwar nur Mutmassungen, denn die Verlage äussern sich nicht zu unverlangt eingesandten Manuskripten. Was ich verstehe, aber das hilft mir auch nicht weiter.
MEIN Buch! Ein eigenartiges Gefühl - Gedankenzüge nach allen Destinationen gehen mir heute durch Kopf... Noch einmal werde ich nun den ganzen Text durchgehen, bei Tredition hochladen, ein paar Retouchen am Cover anbringen. Und dann, ja dann - muss ich ganz alleine den Mut aufbringen, den Knopf 'Publizieren' zu drücken.
Dagegen ist Unboxing ein Kinderspiel.
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