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R(h)ätien

  • daehlert
  • 29. Mai
  • 3 Min. Lesezeit

Rhätien? Rätien? Schreibt man das Wort nun mit oder ohne 'h'? Wie auch immer: Ich liebe diesen riesigen Kanton zwischen Gotthardmassiv und Ostalpen. Wieso? Ein Erklärungsversuch.

Natürlich mag ich die ganze Schweiz, und ich kenne sie auch gut: Das Vertraute überrascht immer wieder mit neuen Facetten und Details. Die meisten Kantonsgrenzen überquert man eher unbemerkt und gedankenlos. Häufig muss die Karte zu Rate gezogen werden, ob man nun noch in der Waadt sei oder schon wieder in Fribourg; in Bern oder Solothurn, im Aargau, im Luzernischen oder dem Zugerland. Der Schritt nach Graubünden ist hingegen ein bewusster: Nach Bad Ragaz quert man den Rhein, und dann ist man da. Die wenigen Hintertüren muss man erst finden: 'Splendid Isolation' hinter einer Bastion von hohen Gebirgszügen. Eigenständig, nicht abgelegen.

Das verleiht dem Kanton einen exotischen Touch: Swissness mit einem 'ja, aber', wie das Wallis. 'Üsserschwyzer', nennen uns letztere, 'Unterländer' die Bündner. Mit der Höhe über Meer hat das nichts zu tun und ist nicht böse, aber ernst gemeint: Es geht um Identität - 'wir' und 'die anderen'. Ein wenig darf man sich als Berner also schon im Ausland fühlen. Ausland im GA-Geltungsbereich, mit Migros, Coop und Volg und den bekannten Robidog-Kübeln.

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Graubünden ist schön. Moment: Es liegt mir fern, das Berner Oberland, den Vierwaldstättersee oder Lac Léman auf die Plätze zu verweisen. Aber in Bündens Schönheit kann man sich buchstäblich verlieren. Die Top Ten? Vergiss es: Gleich ist das Dutzend voll, und du hast noch nicht mal den Nationalpark genannt. Im Sommer 2006 habe ich in vierzehn Etappen die Diagonale Oberalp-Müstair durchwandert und doch nur einen Bruchteil des Kantons gesehen. Ungefähr 280 Kilometer, unzählige Auf- und Abstiege, aussichtsreiche Panoramarouten in den Tälern und viele Pässe.

Mich reizen die Pässe, nicht die Gipfel: Man bricht am Morgen in einer Gegend auf und kommt nachmittags in der nächsten Talschaft an. Erlebte Vielfalt, gefühlte Distanz: Die Häuser haben einen eigenen Touch, das Mikroklima ist rauer oder milder, und in vielen Fällen spricht man eine andere Sprache. Abgesehen von Deutsch, natürlich. Die fünf rätoromanischen Idiome kämpfen seit hundert Jahren ums Überleben, aber Bergler sind zäh. Uaul in der Surselva, God im Engadin... Und in den Zipfeln Bergell, Puschlav und Misox ist Italienisch Amtssprache.

Ab 1975 reiste ich mit Halbtax und Tageskarten mehrmals pro Jahr nach Graubünden. Es waren lange Tage: Abfahrt in Thun kurz nach sechs, Rückkehr um Mitternacht. Arosa, Davos, St. Moritz und Alp Grüm. Durch die Vorderrheinschlucht nach Disentis und über den Oberalppass. Ab Tiefencastel, Thusis und Ilanz mit dem Postauto ins Lugnez, Schons oder Oberhalbstein. Nur Scuol und die Südtäler blieben lange ausserhalb der Tagesreisedistanz. Fotografieren, Wandern, Bahnfahren... Was wäre Bünden ohne seine rote Eisenbahn auf Meterspur?

Die Rhätische Bahn. Als vor gut 125 Jahren die Bündner Staatseisenbahn gegründet wurde, gab es schon eine RB: Die Rigibahn. So schlich sich zur Unterscheidung das 'h' in die Wortmarke - Err...ha-Be. Sie tönt rhythmisch wie das Klicken der Achsen, als die Schienenstösse noch nicht verschweisst, die Fenster mindestens halb offen und Wagen und Lok noch grün waren. Dass Rätien seit je ohne den stummen Mitlaut geschrieben wird, kümmert niemanden.

Heute ist die RhB weltbekannt. Sie allein hat Anrecht auf - mindestens - eine eigene Top-Ten-Liste. Glacier Express, Bernina Express, Weltkulturerbe. Pionier der elektrischen Traktion. Superlative von der höchsten Alpenquerung auf Schienen bis zum längsten Reisezug der Welt. Und allen voran: Der elegant gebogene Landwasserviadukt. Seit letzter Woche kann man halbstündlich mit dem 'Landwasser-Shuttle' von Filisur zu einem attraktiven Fotopunkt fahren. Ein Eldorado für Trainspotter.

Unterdessen habe ich viele weitere Etappen von Gian und Giachens Heimat erwandert und reise seltener ins Bündnerland. Aber jedes Mal fühlt es sich an wie nach Hause kommen: Das Licht ist fluider, die Luft leichter zu atmen als anderswo in den Bergen. Finde ich. Und die Bahn ist immer noch faszinierend, trotz oder auch dank modernstem Rollmaterial, Halbstundentakt und klimatisierten Wagen. Sie pflegt gute Beziehungen zu ihren Fans und den Modellbahnmarken Bemo und LGB, die sich den Modellen der RhB verschrieben haben.

Ja, es ist schön, nach Graubünden zu reisen. Einmal die Treppe hinunter, und schon bin ich mittendrin in meinem privaten RhBünden, dem Albugadin. Massstab 1:22, immerhin. Eine 'Kleine Rote' im Rucksack- und nicht im Taschenformat.

Ich war noch nie in der Greina und selten im Misox, abgesehen von einigen Durchfahrten im schnellen Postauto von Chur nach Bellinzona. Unzählige Pässe warten auf meine Wanderschuhe, und auch im Nationalpark...

Ich muss wiederkommen. Schon wegen den Maluns, Capuns und der Nusstorte.

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