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Wackelkontakt

  • daehlert
  • 1. Nov.
  • 3 Min. Lesezeit

Seltsam: Vor drei Wochen hat Herr Weidmann sein Gutachten 'Verkehr 45' abgeliefert, und schon haben die Medien das Thema ad acta gelegt. Ausbau der Verkehrsinfrastruktur? Nebensache. Wie und wo 40 Milliarden investiert werden sollen? Verschont uns mit Details. Nur die Schweizer Eisenbahnrevue widmet in der Novemberausgabe dem Bericht immerhin noch sieben Seiten: In Form einer Zusammenfassung von... Herrn Weidmann. Hofberichterstattung. No comment.

Ich habe zwar schon gebloggt, aber wenn sonst alle schweigen, muss ich eben nachfassen. Nicht zur Projektliste, sondern zum Thema 'Technologische und betriebliche Alternativen', die Herr Weidmann - Simsalabim - als kostengünstigen Teilersatz nicht finanzierbarer Projekte hervorzaubert. Ohne konkret zu sagen, was, wo und wie.

Keine Rede von magischem Überraschungseffekt: Weder der Hut noch die Kaninchen sind neu. Vieles ist bereits umgesetzt. Was heisst: Es wird laufend weiter entwickelt, aber auf der bestehenden Infrastruktur dank technischer Gadgets mehr Züge verkehren zu lassen, bleibt ein Wunschtraum. Eine 'Sales Story' der interessierten Lieferanten und Berater, die nicht wahrer wird, wenn man sie dauernd wiederholt. Mit IT-gestützter präziserer Verkehrssteuerung gewinnt man betriebliche Stabilität und Flexibilität, unterstützt die Pünktlichkeit, erleichtert die Arbeit der Eisenbahner und spart Energie. Komplementär zum Netzausbau. Herr Weidmann weiss es bestimmt: Warum sagt er es nicht klipp und klar?

Komplett in die Irre führt der Satz: 'Wagenkastenneigung ermöglicht Fahrzeitgewinne mit geringeren Infrastrukturanpassungen.' Das gibt es seit über dreissig Jahren. Kurzer Exkurs: Aktive Neigetechnik kippt den Wagenkasten in Kurven nach innen und erlaubt, auch bei höherer Geschwindigkeit den Komfort-Grenzwert für die Fliehkraft einzuhalten. Die Einrichtung verteuert allerdings die Züge, und für die Streckenkapazität - deren Erhöhung ist der wichtigste Treiber des Bahnausbaus - sind sie Gift: Sie passen nicht in das Trassengefüge konventioneller Schnellzüge; irgendwo müssen sie überholen und zwingen Güter- und Regionalzüge zum Halt. Und, besonders wichtig: Die Technik eignet sich nicht für Doppelstockzüge. Diese will aber die SBB für den Fernverkehr künftig ausschliesslich einsetzen, um genügend Platz anzubieten. Seltsam, dass man im ehrwürdigen 'Poly' nichts davon gehört hat.

Von der Westschweizer Politik massiv unter Druck gesetzt, hat die SBB vor Jahren dennoch das Husarenstück gewagt, einen Doppelstockzug mit einer passiven Neigetechnik zu beschaffen. Diese kompensiert im Bogen nur den Anteil der Fliehkraft, der den Wagen aus der Vertikalen nach aussen drückt (daher Wankkompensation / WAKO genannt), was moderat höhere Kurvengeschwindigkeiten erlaubt. Das teure Experiment war bekanntlich ein Fehlschlag. Ob die WAKO wirklich den erwarteten Fahrzeitgewinn gebracht hätte - Bern-Lausanne in einer Stunde statt 69 Minuten -, wage ich zu bezweifeln.

Und das führt uns zur Pointe: Dem medial ausgeschlachteten Debakel um die 'Wackelzüge' verdankt Weidmann grösstenteils seinen Auftrag. Die zehn Milliarden, mit denen die Bahnfinanzierung gegenüber früheren Planungen aufgestockt werden müsste, betreffen vorwiegend Ausbauten zur Kompensation des Verzichts auf die WAKO. Die bereits skizzierten Projekte sind allerdings Stückwerk; noch überblickt offenbar niemand die Tragweite einer Gesamtlösung.

Fazit: Neigezüge sind die Therapie der Krankheit mit dem Virus, das sie ausgelöst hat.

Ich wiederhole mich: Das wahre Übel beim Infrastrukturausbau ist seine Politisierung. Dass die Westschweizer nur deshalb seltener den Zug benützen als die Alemannen, weil die Fahrt zwischen Flon und Aare mehr als eine Stunde dauert, ist eine leere Behauptung. Rhetorisches Getöse von Compatriotes, die sich 'systemisch diskriminiert' fühlen.

Ich sage nicht, es wäre verfehlt, viel Geld in die Infrastruktur nach Far West zu investieren. Aber erst muss man beim Preisschild Farbe bekennen: Ich schätze mal mindestens 15 bis 20 Milliarden, wahrscheinlich auch deutlich mehr, um zwischen Fribourg und Genf praktisch eine zweite Strecke zu bauen. Und natürlich wird der 'Golden Spike' nicht vor 2045 eingeschlagen, so laut die Lobbyisten auch lamentieren.

Kostspielig, aber immerhin nützlich. Erst mal eine Neubaulinie Matran-Lussy bauen und dann weiterschauen, ist hingegen zu teuer. Die Verkehrswissenschaft müsste eine Bahn 2100 fordern, nicht Teil- oder Scheinlösungen mit Wackelkontakt. Und schon gar nicht mit Mutmassungen über das touristische Potential der U-Bahn Grimsel von unangenehmen Wahrheiten ablenken.

Wackelkontakt. Die Eisenbahnpolitiker der Schweiz brauchen ein hochspannungstaugliches Erdungsseil, keine weidmännisch erlegten Böcke.

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